Nicht Weigerung, sondern Unvermögen
Adolf Kussmaul (1822 – 1902) ein Gelehrter, Forscher, Arzt und Psychologe aus der Schweiz, widmete sich zahlreichen Themen, so auch dem rätselhaften Schweigen (Mutismus) von Menschen. Menschen, die eigentlich über die intellektuellen und körperlichen Voraussetzungen zu verbaler Kommunikation verfügen, beschrieb er erstmals in
seinem Buch „Die Störung der Sprache“. Für Kussmaul war es eine „Aphasia voluntaria“, ein willentliches Schweigen, welches er sogar in Verbindung zu klösterlichen Schweigegelübten brachte. (Kussmaul, Zeitschrift für Kinderpsychiatrie, 1934, 1, 30-35; zit. n. Melfsen & Warnke, 2009, S. 556).
Von einer weiteren Form
Gutzmann schrieb im Jahr 1893 zu Mutismus von der „freiwilligen Stummheit“ (Gutzmann, 1893, zit. n. Melfsen & Warnke, 2009. S. 556).
Formen des elektiven bzw. selektiven und totalen Mutismus
Die Unterscheidung zwischen dem elektivem und totalem Mutismus gehen auf den Schweizer Kinder- und Jugendpsychiater Moritz Tramer (1934) zurück und fanden internationale Verbreitung. Er wird in der aktuellen Diskussion durch den Begriff des „selektiven Mutismus“ ergänzt.
In der ICD-10 (Internationale Klassifizierung psychischer Störungen) der WHO (Weltgesundheitsorganisation) findet sich unter F94.0 der Begriff „elektiver Mutismus“. Die Begriffe „elektiver Mutismus“ bzw. „selektiver Mutismus“ beschreiben also ein und dasselbe Störungsbild.
Die angloamerikanischen Literatur verwendet in der Regel die Bezeichnung „selektiver Mutismus“.
Früher wurde auch oft der Terminus „Sprechverweigerung“ verwendet, der jedoch das Problem auf das Kind allein reduziert und suggeriert, das Kind habe die Möglichkeit, wenn es doch wolle, zu sprechen. Er wird in der aktuellen Diskussion durch den Begriff des „selektiven Mutismus“ ergänzt. (Tramer, 1934 zit. n. Melfsen & Warnke, 2009, S. 556).
Mutismus wird als psycho-soziale Angststörung (ICD10 F94.0) definiert, bei der die Betroffenen in bestimmten Situationen und gegenüber bestimmten Personen schweigen, obwohl sie prinzipiell zu sprechen in der Lage sind. Mutisten sprechen zumeist innerhalb ihres familiären Umfeldes, nicht jedoch im Kindergarten, in der Schule oder bei fremden Personen. Betroffene zeigen häufig eine ängstliche Gemütsverfassung. Es können Hemmungserscheinungen wie Minderwertigkeitsgefühle, Verschlossenheit, Scheu vor Veränderung und Unsicherheiten, sowie extreme Sensibilität und Verletzlichkeit beobachtet werden.
Dem gegenüber findet man jedoch auch einige Charakterzüge, welche durchaus auf eine enorme Willensstärke und Kontrollneigung schließen lassen.
Hinsichtlich der Reaktion auf unliebsame Anforderungen oder bedrohlich empfundene Situationen können zwei unterschiedliche Verhaltensweisen beobachtet werden: zurückziehen und resignieren, aber auch heftige Zornesausbrüche, wildes, aggressives Verhalten.
reaktiver und psychogener Mutismus
Weber definierte 1952 den reaktiven und psychogenen Mutismus. Reed führte 1963 aus, dass der Mutismus dazu diene, um Aufmerksamkeit zu erzielen, um mangelhaft erlernte, soziale Verhaltensweisen zu kompensieren. Elson sprach 1965 von einer Charakterstörung aufrund passiv-aggressiven Anteilen und erstmals tauchte 1977 der von Schachter geprägte Begriff „conduite mutisme“ auf.